Die Ladenhüterin
Sayaka Murata
Keiko Furukura war schon als Kind verhaltensauffällig, gänzlich ohne Mitgefühl hat sie ihre Eltern des Öfteren in absolute Erklärungsnöte gebracht. Auf Anraten von Experten haben sie ihre Tochter dennoch mit viel Liebe und Geduld erzogen. Keiko hingegen hat für sich beschlossen, dass die Menschen und sie nicht zusammenpassen, sich immer mehr zurückgezogen und darauf geachtet möglichst unauffällig zu sein.
Als Studentin hat sie einen Aushilfsjob in einem Konbibi, einer Art Supermarkt der rund um die Uhr geöffnet hat, angenommen und hier eine Welt gefunden die klar strukturiert ist und es ihr ermöglicht „normal“ zu agieren. Alles ist hier geregelt, von der Arbeitsuniform, über das Einsortieren der Regale, bis hin zu den üblichen Begrüßungs- und Abschiedsfloskeln. Was unklar ist kann jederzeit im allgegenwärtigen Handbuch nachgeschlagen werden. Seit 19 Jahren arbeitet Keiko inzwischen als Aushilfskraft in ihrem Konbini und hat für sich etwas Vergleichbares wie soziale Akzeptanz erreicht, indem sie ihre Kolleginnen imitiert: die Art und Weise wie sie sprechen, wie sie sich kleiden. Inzwischen wird sie sogar wieder von früheren Kommilitoninnen zum Kaffeeklatsch eingeladen und genau hier wird verstärkt nach Keikos Zukunftsplänen gefragt. Eine 36jährige Frau ohne Mann und Kinder, unvorstellbar!
Die Lösung des Problems tritt in Gestalt von Herrn Shiriha in Keikos Leben. Der neue Arbeitskollege, hochaufgeschossen, unansehnlich dünn, mit gelben Zähnen, mangelnder Disziplin und ohne Obdach. Keiko mag ihn nicht und exakt aus diesem Grund fragt sie ihn am Tag seiner Kündigung, ob sie sich nicht pro Forma verpartnern sollten - sie hätte ihre Ruhe, er eine Bleibe. Shiriha zieht bei ihr ein, belegt ab sofort die Badewanne und empfindet es als sein männliches Recht von hier aus ihr weiteres Leben zu diktieren. Bis er eines Tages von Keiko verlangt ihre Stelle im Konbini zu kündigen.
Kerstin Schneider